Narrative Void
"Sieben Ergänzungen zur Geschichte von Schloss Kapfenburg"

Eröffnung am 12. September 2021
Stiftung Internationale Musikschulakademie Kulturzentrum Schloss Kapfenburg, Lauchheim

Die Stiftung Internationale Musikschulakademie Schloss Kapfenburg hat die Künstlerin Eva Gentner eingeladen, ein künstlerisches Konzept für einen Raum im Kaplaneigebäude von Schloss Kapfenburg umzusetzen. Der entsprechende Raum war bis dato mit einer Infotafel zur Schlossgeschichte sowie sieben leeren Vitrinen ausgestattet. Für eben diese Vitrinen hat die Künstlerin sieben Artefakte erschaffen, die ein diverseres Bild der Schlossgeschichte zeichnen: Bei den sieben Artefakten handelt es sich nicht - wie man auf den ersten Blick meinten könnte - um historische Relikte, sondern um neu geschaffene Kunstwerke. Diese erzählen von wahren historischen Begebenheiten von und um Schloss Kapfenburg und deren Burgherren, dem Deutschorden. Die Geschichten, die Eva Gentner aufgreift, sind atypisch: sie erzählen nicht von den großen Heroen, sondern von sieben Frauen, die - wie Frauen generell - in der Geschichtsschreibung allzu oft vernachlässigt werden. Um diesen Frauen nachzuspüren, hat Eva Gentner eine historische Forschungsreise durch die Archive und Bibliotheken Baden-Württembergs unternommen und zahlreiche Urkunden und Quellen aufgestöbert. Anhand dieser konnte sie Mutmaßungen über die Leben der Frauen anstellen und diese - nicht ohne ein Augenzwinkern - in ihren Objekten nacherzählen. Zu den sieben Artefakten gehören u.a. eine Reliquie sowie ein perlenbesetzter Damenschuh - vermeintlich aus dem Jahr 1570. Und auch ein imitierter frühmittelalterlicher Grabschmuck ist darunter. Aber auch eine nachgestellte Uniform der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt ist dabei, die die Geschichte einer Auszubildenden der Gauschule Kapfenburg erzählt. Damit zeigt Eva Gentner nicht nur neue Perspektiven auf die Geschichte des Schlosses auf, sondern weist auf die Unvollständigkeit unseres historischen Bewusstseins im Generellen hin.

Download Booklet PDF (500KB)

Interview zur Ausstellung mit der Schwäbischen Post
Dagmar Oltersdorf:
„Eva Gentner hat unerwähnte gebliebene Geschichten von sieben Frauen, die mit Schloss Kapfenburg verbunden sind, recherchiert“, steht im Booklet zur Ausstellung. Geht's um Feminismus?"

Eva Gentner:
„Ich habe versucht, das nicht so offensiv zu machen, sondern subtil. Es geht einfach um weniger prominente Menschen und das sind in der Geschichte der Kapfenburg eben die Frauen."

"Wie kam es zu dieser Idee?"
"Entstanden ist das Konzept aufgrund einer Anfrage des neuen Akademiedirektors Moritz von Woellwarth. Er hat mich eingeladen, ein künstlerisches Konzept für einen Raum der Kapfenburg, die Kaplanei, zu entwerfen. In dem Raum befanden sich bisher sieben leere Vitrinen und zwei Schautafeln zur Geschichte der Burg. Ich habe damit angefangen, die Schautafeln zu lesen und weiterzuforschen. Dabei ist mir aufgefallen, dass einige Dinge auf den Schautafeln unerwähnt geblieben sind. Das passte zur “Leere” der Vitrinen. Und so habe ich für die Vitrinen je ein Kunstwerk geschaffen, die die unerwähnten Geschichten nacherzählen."

"Wie stellen Sie die Bezüge her?"
"Mit jedem Kunstwerk beziehe ich mich auf die Schautafeln. Dort heißt es zum Beispiel, die Burgherren seien zu Keuschheit und Armut verpflichtet gewesen. Bei meiner Recherche habe ich jedoch eine Urkunde aus dem Jahr 1570 gefunden, die der Frau des Burgherren 2000 Gulden zusichert. Das widerspricht sowohl dem Gebot der Keuschheit als auch der Armut. An einer anderen Stelle erzählt die Schautafel die Burggeschichte des 20. Jahrhunderts. Hier befindet sich, statt einem Hinweis auf die NS-Zeit, nur der schlichte Satz: „in der folgenden Zeit wurden die Schlossräume zweckentfremdet”. Zwischen 1936-45 war dort jedoch die Gauschule der NS-Volkswohlfahrt eingerichtet. Diese bildete meist Frauen für den Reichsarbeitsdienst aus, bspw. als Krankenpflegerin. In dem Rahmen waren sie aber auch teils an der systematischen Ermordung von Menschen mit körperlichen, seelischen und geistigen Behinde­rungen beteiligt. Man kann das nicht einfach weglassen."

"Ihre Arbeit dazu heißt „Die Mörderin“. Sie zeigt eine Uniform mit einem Hakenkreuz. Das ist schon etwas verstörend..."
"Ja, das stimmt. Ich habe eine Uniform mit Hakenkreuz nachgenäht, wie sie einer Auszubildenden der Gauschule hätte ausgehändigt werden können. Künstlerinnen und Künstler, und nur die, sowie im historischen Kontext etwa in Museen, dürfen Hakenkreuze zeigen."

"Schuhe, eine Brosche, alles sieht auf den ersten Blick sehr originalgetreu aus. Wollen Sie den Betrachter täuschen?"
"Es war nicht mein Anspruch, zu „faken“. Sondern es ging darum, Kunstwerke des 21. Jahrhunderts zu schaffen, die authentisch eine wahre Begebenheit nacherzählen. „Die Geistliche“ ist ein Aquarell, das ich auf eine leere Seite in einem Buch gemalt habe, das ich Paris auf dem Second-Hand-Markt gekauft habe. So habe ich einen imitierten Psalter geschaffen. Es geht auch darum, wer was erzählt und was erzählt werden will."

"Können Sie das genauer erklären?"
"In der Geschichtsschreibung wurde schon viel “angepasst”. Nehmen Sie zum Beispiel aktuell die neuesten Forschungen zum Erbe Dschingis Khans. Eine seiner Nachfolgerinnen, Khutulun, war eine mächtige Herrscherin und erfolgreiche Kriegerin. Erzählungen über sie wurden später einfach aus den Chroniken gelöscht. Das muss heute alles nachgearbeitet werden. Was meine Arbeit für die Kapfenburg angeht, wollte ich keine explizit feministische Position einnehmen, sondern einfach Punkte ergänzen, die für mich gefehlt haben. Etwas machen, was einen Mehrwert ergibt. Mit etwas Augenzwinkern, aus einer künstlerischen Perspektive heraus. Meine sieben Artefakte ergeben nun, zusammen mit den Schautafeln, einen neuen Gesamtklang über die Geschichte der Kapfenburg."

Schloss Kapfenburg
Quelle: lauchheim.de

"Die Ehefrau", 2021
Seide / Perlen / Leder / u.a.


"Die Vermeintliche", 2021
Perlen / Muschel / Zähne / historischer Anhänger / u.a.


"Die Königin", 2021
Acryl auf historischer Glasbrosche


"Die Heilige", 2021
Knochen / Samt / Goldfaden / historisches Papier / u.a


"Die Geistliche", 2021
Aquarell / Blattmetall / Filzstift auf historischem Papier


"Die Mörderin", 2021
Stoffe / originale NSV-Nadel / u.a


"Die Stifterin", 2021
Tinte auf historischem Papier, Siegel


Ausstellungsansicht